Schule für CranioSacral Healing

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Blogartikel über das Wort „biodynamisch“ bzw. „Biodynamik“ 

(aus Newsletter 1/2018)


Heute möchte ich über das Wort „biodynamisch“ bzw. „Biodynamik“ sprechen, auch wenn ich befürchte, mir durch meine Ausführungen nicht nur Freunde zu machen.

Ich gehöre zwar selbst zu den Cranio-Lehrer/innen, die als erstes im deutschsprachigen Raum das „biodynamische“ Verständnis in ihre Ausbildungen integriert haben. Und nicht nur den eigenen Schüler/innen, sondern auch hunderten von anderen Cranio-Praktizierenden, darunter ein gutes Dutzend Cranio-Lehrer/innen, habe ich in zahlreichen „Atem des Lebens“-Kursen in den letzten 20 Jahren Grundzüge dieses Verständnisses vermittelt. Dennoch vermeide ich seit 21 Jahren das Wort „biodynamisch“ so gut wie es nur geht. Und ich bin auch nicht glücklich darüber, dass dieses Wort in unseren Kreisen so viel verwendet wird. Warum?

Das hat vor allem mit Respekt zu tun.

Erstens sind für mich die Begriffe „Biodynamik“ und „biodynamisch“ bereits eindeutig belegt durch die körperpsychotherapeutische Methode Biodynamik, die manchmal auch biodynamische Therapie genannt wird.

Zur Erinnerung: Diese Therapiemethode wurde Anfang der 70er Jahre von Gerda Boyesen als sanftes und integratives Gegenstück zu Alexander Lowens Bioenergetik entwickelt. Die Biodynamik arbeitet viel mit Berührung und durch die Biodynamik wurden Begriffe wie „vegetative Entladung“, „vegetative Entspannung“ und „vegetative Regulation“, die ja auch für uns bedeutsam sind, entscheidend geprägt oder mitgeprägt. In diesem Zusammenhang empfehle ich gern Gerda Boyesens Buch „Über den Körper die Seele heilen“.

Auch wenn kein direkter Zusammenhang zu craniosacraler Arbeit besteht, ist die Biodynamik ein wichtiger Teil von dem Hintergrund und dem Feld gewesen, das es erst ermöglicht hat, dass Craniosacral-Therapie als eigenständige Methode entstehen, sich etablieren und weiterentwickeln konnte. Ist das alles wirklich schon vergessen? Ich empfinde es angesichts dessen tatsächlich schon ziemlich respektlos, da einfach darüber hinweg zu gehen und diesen Begriff im Zusammenhang mit unserer Arbeit zu verwenden.

Zweitens wurde im osteopathischen und craniosacralen Kontext der Begriff „biodynamisch“ von Anfang an in erster Linie als Abgrenzung gegenüber „biomechanisch“ arbeitenden Therapeut/innen verwendet. Aber wer sind denn in unserem craniosacralen Feld die „biomechanischen“ Therapeut/innen? Abgesehen von ein paar ganz wenigen versprengten Craniosacral-Therapeut/innen, die wirklich rein mechanisch arbeiten, waren damit stets unausgesprochen die vielen Upledger-orientierten Craniosacral-Therapeut/innen gemeint.

Es gibt zwar manches, was man an Upledgers Lehren vielleicht zu Recht kritisieren könnte und vor allem kann man bemängeln, dass in seinen Lehren einiges Wesentliches fehlt. Aber wer John Upledger und seine Bücher kennt, weiß, dass sein Verständnis keineswegs nur mechanisch ist und dass er sehr wohl auf seine eigene Weise mit den Kräften, die der Organisation des Gewebes zu Grunde liegen, kommuniziert hat. Dass seinen Konzepten gerade diesbezüglich in mancher Hinsicht einiges fehlt, steht auf einem anderen Blatt. Aber ihm und seinen Leuten den Begriff „biomechanisch“ aufzukleben, ist einfach unzutreffend und hat einen verleumdenden Beigeschmack.


Meines Wissens wurde der Begriff „biodynamisch“ von James Jealous und ihm nahestehenden Osteopathen in unseren Kontext eingeführt. Im Rahmen der Osteopathie macht dieser Begriff zur Abgrenzung gegenüber den vielen tatsächlich biomechanisch arbeiteten Osteopathen wirklich Sinn. Außerdem hat Dr. Jealous, der ja in einem osteopathischen Elternhaus aufgewachsen ist und stets ganz innerhalb der osteopathischen Welt gelebt hat, möglicherweise von der Biodynamik und anderen körperpsychotherapeutischen Methoden nie gehört. Auch in dieser Hinsicht kann ihm die Verwendung des Begriffes noch nachgesehen werden.

Zudem ist der körperpsychotherapeutische Hintergrund innerhalb des osteopathischen Rahmens nicht sonderlich relevant. Aber für uns ist er relevant! Die Körperpsychotherapien, als deren Großvater Wilhelm Reich betrachtet werden kann, sind ein anderer wesentlicher Teil unserer Wurzeln und gerade dieser Hintergrund macht unsere Arbeit als eigenständige Methode erst vollständig, ganz und rund – auch im Vergleich zur Osteopathie!

Ja, in diesem Hintergrund und Feld gab es manche seltsame Auswüchse und auch einige Irrwege, aber es ist auch vieles wirklich Wertvolles und Nützliches gewachsen. So ist zum Beispiel die trauma-integrative Arbeit von Peter Levine, die für viele von uns ganz selbstverständlich integraler Teil ihrer craniosacral-therapeutischen Tätigkeit ist, eindeutig auch aus diesem Hintergrund und diesem Feld entstanden. Ich spreche bewusst von einem Feld und Hintergrund und nicht von einer Tradition, weil es eben keine geschlossene Traditionslinie ist, sondern eher wie ein weit und locker gefasstes und doch miteinander verbundenes Feld.

Schließlich docken wir uns durch die Verwendung des Begriffs „biodynamisch“ ausdrücklich an Leute wie Jealous an, die – aus welchen berechtigten oder unberechtigten Gründen auch immer – ganz explizit nichts mit uns zu tun haben wollen. Abgesehen von der Frage nach dem Respekt vor anderen: Wo bleibt da unser Selbstrespekt?


Ja, ich weiß, der Begriff „biodynamisch“ wurde ab und zu auch von Prof. Erich Blechschmidt, auf den wir uns ja gern auch ganz direkt beziehen, verwendet – aber nie im Sinne einer therapeutischen Vorgehensweise!

Und auch auf einer ganz anderen Ebene möchte ich noch etwas anmerken: Wie in den späten 80er und den 90er Jahren fast die ganze Cranio-Szene auf Dr. Upledger ausgerichtet war und alles, was von ihm kam, ziemlich unreflektiert übernommen wurde, erscheint es mir manchmal so, als ob heute viele Cranio-Leute „biodynamische“ Konzepte und Begriffe relativ ungeprüft übernehmen.

Auch ich finde nach wie vor die meisten „biodynamischen“ Konzepte und Vorgehensweisen genial oder zumindest wertvoll und nützlich – aber eben auch nicht alle.

Außerdem ist mir als Lehrender sehr viel daran gelegen, stets eine möglichst einfache, klare, genaue und erfahrungsnahe Sprache zu finden. Und hier empfinde ich einige „biodynamische“ Begriffe entweder zu technisch (z.B. „Zone A-D“), zu kühl (z.B. „Neutral“), zu kompliziert, zu hochtrabend oder geschraubt (z.B. „Potency“) oder zu ungenau-schwammig (z.B. „fluid body“).

In diesem Zusammenhang wünsche ich mir mehr wachen und kritischen Forschergeist.


Ich bin mir im Klaren darüber, dass der Begriff „biodynamisch“ im Cranio-Kontext bereits viel zu sehr etabliert ist, um innerhalb von kurzer Zeit verschwinden zu können.

Aber vielleicht helfen ja meine Ausführungen, nicht nur ein Nachdenken, sondern auch einen Bewusstseinsprozess in Gang zu bringen, so dass im Laufe von einigen Jahren eine Veränderung und Weiterentwicklung geschieht, nicht nur auf der Ebene von Begriffen; vielleicht irgendwohin, wo es im Moment noch niemand von uns ahnen kann …